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Ulrich Rölfing

"Neues Leben"

„Geflüchtete“

Katalog

 

 

 

 

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Ulrich Rölfing

"Vaterland"

geschichtenwerft edition

 

 

 

 

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Ulrich Rölfing

"Die Wahrheit des Augenblicks"

„Bilder vom Leben und vom Gehen“

geschichtenwerft edition

 

 

 

Harald Schiller :

Ulrich Rölfing – der Entdeckungsmaler

Wie sich aus Linien und Farben eine Haltung entwickelt

 

Ein Wagnis! Der Hamburger Maler Ulrich Rölfing hat sich nach ihrem Tod mit dem Leben seiner Mutter auseinandergesetzt, nicht erst seit Sigmund Freud Schwerstarbeit. Zwei Jahre lang arbeitete er an dem Projekt. Für den Künstler jedoch ein Wagnis noch aus anderem Grund. Rölfing ist Maler und Bildhauer, aber auch studierter Kunsthistoriker. Er kennt die Stil- und Formgeschichte des Frauen- und Muttermotivs in der bildenden Kunst. Er beherrscht die Entwicklungslinien. Ein illustres Figurenrepertoire von frühmittelalterlichen Marienbildnissen über Albrecht Dürers Kohlezeichnung seiner greisen Mutter bis zu den Instagram-Bilderströmen der Pop-Ikone Madonna prägt unser kollektives Bildgedächtnis. Rölfing weiß um den Diskurs, der um die Rolle der Mutter geführt wird, Regalkilometer füllen Bibliotheken. Die Messlatte lag hoch.

Rölfing aber war sich seiner künstlerischen Mittel sicher. In zahlreichen Ausstellungen, über Hamburg hinaus, hat er seinen eigenen Stil etabliert. Deswegen konnte er diese Bilder malen. „Der Tod war der Ausgangspunkt, dem Leben meiner Mutter in Bildern nachzugehen.“ Fotoalben seiner Familie, wie sie millionenfach in den Wohnzimmerschränken deutscher Nachkriegshaushalte liegen, dienten ihm als Basis, überwiegend waren es Schwarz-Weiß-Abzüge. Es geht Rölfing um neue Blickwinkel, Bezüge und Strukturen. Den geschichtlichen Rahmen dieses Lebens stecken Friedrich Ebert, erster Reichspräsident der Weimarer Republik, und Joachim Gauck, elfter Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland, ab. Carola Rölfing verstarb 2013. Geboren wurde sie ein paar Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs im westfälischen Stromberg. Die Traumata des Zweiten Weltkriegs trug sie in ihrer Seele, die Wirtschaftswunderjahre, die Zeiten mit heranwachsenden Kindern und schließlich die Rätsel, die ihr das Alter aufwarf. „Unscheinbare, beiläufige Augenblicke dieses Lebens bekamen als Erinnerung eine ungemeine Wucht und Kraft und hatten mehr zu sagen als die Eckpunkte des tabellarischen Lebenslaufe“, erklärt der Künstler. Er näherte sich einer Frau, die im Garten Blumen gießt, gedankenverloren an einer Tasse nippt oder in einer Illustrierten blättert. Er folgte seiner Intuition. Seine Bildauswahl enthält kaum Auftritte, die für den Fotoapparat inszeniert wurden, das „Cheese!“, den Gute-Laune-Befehl der Amateurfotografie, sucht man vergebens.

Den arglosen Blick eines Kleinkindes, die grazile Anmut einer jungen Frau und den selbstvergessenen Blick einer Naturbetrachterin untersucht er für die „Wahrheit des Augenblicks“. Und das Gesicht einer Greisin. Mit diesem Verfahren glückt ihm der Blick auf die Schönheit eines Menschen. Keine Lebensphase wird verklärt, auch das Alter nicht. Wir sehen Bilder vom Verfall, von Krankheit und vom Tod. Den Sterbemoment seiner Mutter, zweifellos eine Grenzsituation, erleben wir als Farbtupfer auf der Palette eines Lebens. Rölfings Bilder verstören nicht.

„Demente Menschen verlieren ihre Fassade und werden freier. Ich hatte mit meiner Mutter in dieser Phase wertvolle Begegnungen.“ Rölfing nähert sich in seinen Arbeiten dieser Frau, seiner Mutter, mit Liebe und Respekt. Nie läuft er Gefahr, sie zu verklären. Rölfing ist ein Entdeckungsmaler. Er sucht „Ankerpunkte für seelische Bilder, die an die Oberfläche drängten“, wie er erklärt. Er geht mit unbekanntem Ziel auf Reisen. Und entdeckt die Wahrheit des Augenblicks. Es ist kein Blick in ein privates Familienalbum. In schnellem Tempo hat Rölfing die Bilder geschaffen, mit Eitempera, einer Mixtur aus Ei, Öl und Wasser, die leuchtstarke und intensive Farben bildet. Das Leben, das er darstellt, ist, wie jede Biografie, aus individuellen Motiven und gesellschaftlichen Konventionen zusammengesetzt. Rölfings Bilder beinhalten ein Geheimnis. Sie sind das Gegenteil von Kitsch. Der Entdeckungsmaler fährt auf Sicht, „die Ganzheit des Lebens schlummerte oft da, wo ich sie nicht erwartet hatte“.

Rölfing spürt der Frage nach, was den Kern dieser Frau ausgemacht hat. Eine junge Frau posiert, kokett und mondän, in modischem Kostüm. Dann steht sie gebrechlich vor ihrer Schutzheiligen Maria. Wohin? Rölfing hat im Laufe seiner Malerkarriere eine eigene Sprache entwickelt, das Ergebnis seines Malstils sind Porträts, die nicht Realismus anstreben. Sie bringen den inneren Glanz eines porträtierten Menschen zum Vorschein, aus Linien und Farben entwickelt sich eine Haltung. Die Kunsthistorikerin Eva Maria Schöning stellte einen Zusammenhang des abstrakt malenden Rölfing zur konkreten Kunst fest, „um diese Erfahrung geht es in den Bildern von Ulrich Rölfing, (…) um die Konzentration auf die ureigenen bildnerischen Mittel, ihre Gesetzmäßigkeiten und Gestaltwerte. Linie, Fläche, Farbe, Form sind mit sich selbst identisch.“ Für Rölfing ist die Entscheidung für figuratives oder abstraktes Arbeiten keine programmatische, sondern eine pragmatische. „Das Figürliche ist nicht ablösbar von der formalen Struktur, wie sie in der Farbe und Formgestaltung gegeben ist.“

Auf dem Katalogtitel ist das wunderbar erkennbar, wir betrachten eine lesende Frau. Figur und Fläche gehen ineinander über, bedingen einander. Und hüten ihr Geheimnis. Ein Strandstuhl, auf dem die Figur sitzt, lässt den Untergrund zum Sand erkennen und öffnet den Hintergrund zum blauen Meer und den ockerfarbenen Hintergrund als Himmel. Das Credo von Prof. Dr. Max Imdahl, der bis 1988 Kunstgeschichte an der Ruhr-Universität Bochum lehrte und dort eine ganze Studentengeneration begeisterte, gilt wohl auch für das Werk des Westfalen Rölfing, der sich damals unten ihnen befand: „Der Einfachheit der Form entspricht nicht unbedingt eine Einfachheit der Erfahrung.“

Unabhängig vom Alter scheint etwas von einem Menschen auf. Er wird begreifbar. Der Betrachter sieht eine Frau, die sitzt, liegt, steht oder geht. Einen Säugling, ein Kind, eine junge Frau, eine alternde Frau, eine alte Frau. Generationstypisches Leben, eine Kohorte. Kinder, Küche, Kirche? Zentrale Positionen des 20. und 21. Jahrhunderts sind besetzt. Und Kindheit, Ehe, Familie, die Rolle einer Frau. Demenz. Ein Lebensthema dieser Generation, der Zweite Weltkrieg, ist angedeutet. Wir sehen eine junge Frau, in BDM-Uniform, entschlossen die Arme in die Hüften gestemmt, mit provozierendem Blick, den Betrachter fixierend. Rölfings Bilder suchen die Gegenwart, was ist die Wahrheit des Augenblicks? Die Frau als Lesende ist mehrfach ein Motiv. Carola Rölfing war eine studierte Frau, eine Lehrerin. Dann zog sie Kinder groß. Zur Dichterin Annette von Droste-Hülshoff fand der Sohn im Nachlass detaillierte Ausarbeitungen. Niemals hatte sie über die Künstlerin gesprochen.

Rölfing konzentriert sich auf den Aufbau der Haltung.Oft verzichtet er auf die Gestaltung individueller Gesichtszüge. Zwei, drei Farbflächen bilden den Hintergrund und belassen die Konzentration auf der Figur. Rölfing nennt es „ein abstraktes Umfeld, aus dem die Figur herausgelöst wird.“ Immerhin hat es die Frau auf den Fotos gegeben. „Sie war wohl eine stolze Arztfrau und hatte ein bürgerliches Ich“, erzählt Rölfing. Er gibt diesem Leben einen neuen Rahmen aus vielen Rahmen.

Rölfing ist nicht der allwissende Porträtist. Er bekundet seiner Mutter Respekt durch die Fragezeichen, die in diesen Bildern auftauchen. Carola Rölfing war in Westfalen verwurzelt. Nichts aber wäre falscher, als Ulrich Rölfing einen Heimatmaler zu nennen. Er sucht Anregungen auf Reisen, die ihn bis nach Indien führen. Eine lebensgroße Statue des Swami Vishnudevananda ziert den Sivananda-Aschram in Orleans. Sein Porträtprojekt „Religionsrepräsentanten“ schuf er im multireligiös geprägten Hamburger Stadtteil St. Georg. In der Entdeckergalerie des Maritimen Museums Hamburg in der Speicherstadt sind Bronzebüsten großer Seefahrer versammelt, die Rölfing gestaltet hat, die Büsten von Christoph Kolumbus, Ferdinand Magellan, Vasco da Gama und James Cook.

„Diese Bilderreihe ist ein Versuch, aus der Nähe heraus eine Wahrheit zu gestalten, und zugleich ein Ringen um Distanz, damit eine Aussage möglich wird.“ Es sind die inneren Reisen des Entdeckungsmalers Rölfing, der in der Nähe die Ferne erkundet. Die Frage nach einem Ziel wollen die Bilder nicht beantworten. Ihrer Kraft und Offenheit kann sich ein Betrachter kaum entziehen. Sehen wir die starken und intensiven Bilder dieser Werkgruppe über das Leben und Sterben seiner Mutter Carola, nähern wir uns dem Kern eigener Haltungen. Das Wagnis des Künstlers Rölfing hat sich gelohnt. ---

Harald Schiller

Harald Schiller studierte Germanistik und Kulturmanagement in Münster/Westf. und Hamburg, wo er das Kommunikationsbüro geschichtenwerft gründete und als Ausstellungsmacher, Autor, Journalist und Texter arbeitet.

geschichtenwerft:„ Harald Schiller Lange Reihe 117 20099 Hamburg Tel. 040-280 45 43 Fax 040-419 24 728 mobil 0170 5405106 E-Mail: harald.schiller@geschichtenwerft.de

 

 

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"Die Wucht des erlebten Schicksals"

Wohnungslose Menschen im St. Antoniusheim im Portrait

 

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